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DER NIEDERGANG EINER LEGENDE

Der Niedergang einer Legende


14 Zechen mit insgesamt 70 Schächten stehen zur hohen Zeit des Bergbau auf Gelsenkirchener Stadtgebiet. Hätte die Welt um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht einen schier unersättlichen Appetit auf Kohle entwickelt, die Stadt Gelsenkirchen gäbe es heute so nicht. Aber weil die industrielle Revolution Energie benötigt, um Dampfmaschinen zu betreiben, Strom zu erzeugen, Stahl und Eisen zu produzieren, scheuen Industriepioniere keine Kosten, um auch an das schwer zugängliche schwarze Gold der Emscherniederung zu gelangen. Nachdem es technisch möglich ist, die wasserführende Mergelschicht zu durchstoßen und die immer tieferen Schächte - bis zu 1300 m Tiefe - vor eindringendem Grundwasser zu schützen, entsteht in den kleinen Bauernschaften und Dörfern südlich und ab den 1870er Jahren auch nördlich der Emscher Zeche um Zeche.

Um die Fördertürme herum wachsen immer größere Steinkohlebergwerke, an die lehnen sich neue Industriekomplexe an, die entweder dem Bergbau zuarbeiten - Seilereien, Schmieden, Maschinen- oder Sprengstofffabriken - oder die Kohle weiterverarbeiten: Kokereien, chemische Anlagen, Hüttenwerke. Der Personalbedarf dieser Industrie lässt die Bauernschaften aufeinander zu wachsen, bis diese zur Großstadt Gelsenkirchen verschmelzen, in der u.a. Buer, Horst, Bulmke, Bismarck, Rotthausen, Schalke und Schalke-Nord die Stadtteile bilden.

In einem Hinterhof der Gewerkenstrasse am Schalker Markt treffen sich kurz nach der Eingemeindung des Ortsteils Schalke 15jährige Jungs, um im Schatten der Zeche Consolidation Fußball zu spielen. Aus dieser Spielgemeinschaft heraus entsteht am 4. Mai 1904 der lose Verein „Westfalia Schalke“. Das ist die Stunde Null für einen der legendärsten Fußballclubs des Landes. Leidenschaft, Macht, Schwindel, Korruption, Hundebisse und 7 Meisterschaften, die letzte 1958, begleiten den Fußball-Club und begründen dessen „Mythos“ von Anbeginn an.

In der Ära des unvergessenen Managers Rudi Assauer nehmen „die Knappen“ Kurs auf die Moderne des Fußballs, gewinnen DFB-Pokale, den UEFA-Cup, kratzen mehrfach an der Meisterschaft und bauen ein neues Stadion. Zu diesem Zeitpunkt ist der Verein finanziell durchaus solide aufgestellt mithilfe langjähriger Sponsoren und stets ausverkaufter Heimspiele. Im Hintergrund bastelt währenddessen ein Mann an der eigenen Dominanz und Hausmacht, die den Manager Assauer in seinem Wirken einengen sollte: Clemens Tönnies, Großunternehmer aus Rheda-Wiedenbrück.

„Ahnungslose Wichtigtuer“ nennt Assauer den mit Tönnies-Getreuen besetzten Aufsichtsrat, der ihm am 17. Mai 2006 einstimmig das Vertrauen entzieht, unter ihnen von Assauer langjährig geförderte Personen wie der Ex-Weltmeister Olaf Thon. Im Oktober 2006 handelt Tönnies den millionenschweren Deal mit der russischen Ölgesellschaft Gazprom für Schalke aus - ein Folgegeschäft der Verzahnung von „Männerfreundschaft“ zu Vladimir Putin und der gewaltigen Investitionen von Tönnies in Schlachthöfe in Russland. Dieser Vertrag sichert dem Aufsichtsratsvorsitzenden Tönnies eine unanfechtbare Position im Verein.

Und legt den Grundstein für den Niedergang der Legende aus dem Ruhrpott.

Alleinherrscher Tönnies trifft widerspruchslos spektakuläre Fehlentscheidungen wie zB. die im Alleingang vollzogene Verpflichtung von Trainer und Vorstand Felix Magath, an dessen Kaufwut der Verein heute noch finanziell leidet: zwischenzeitlich stehen bei ihm 36 Profispieler unter Vertrag. Sportlich hat Schalke schon lange den Anschluss verpasst, trotz regelmäßiger Erfolge der Jugendmannschaften. Wirtschaftlich befindet sich der Verein in Not, die durch die NRW-Landesbürgschaft zunächst abgefedert ist. Corona trifft Schalke mit voller Wucht: Das Virus mit der Rückennummer 19 hat Clemens Tönnies des AR-Postens beraubt, hat seiner Firma Skandale um Arbeitsbedingungen beschert und den Schalkern gähnende Leere in Stadion und Kassen. Auf der Payroll des Vereins stehen allerdings die Namen ausgeschiedener, teurer Alumnis, angeführt von Ex-Trainer David Wagner.

Der seit 30. September wirkende Nachfolger Manuel Baum, mit 1,69m Körpergröße sinnigerweise ein ehemaliger Torwart, verzeichnet in 7 Pflichtspielen einen Sieg - im DFB-Pokal beim Viertligisten Schweinfurt 05.

Nach der neuerlichen 0:2-Heimniederlage gegen den VfL Wolfsburg an diesem Wochenende ist klar: der Trainerwechsel fruchtet nicht, der Mannschaft mangelt es an Qualität, das Torverhältnis beträgt 5:24 bei ganzen 3 Punkten aus 8 Spielen, Geld für neue Spieler fehlt, die A-Junioren - Aushängeschild der Jugendarbeit der Knappen - kassieren eine 1:5-Heim-Niederlage gegen den ewigen Rivalen Borussia Dortmund, die betriebsbedingte Kündigungswelle erreicht die Geschäftsstelle. Clemens Tönnies hat dem Verein dem Vernehmen nach persönliche Kredite bis zu 100 Millionen Euro eingeräumt. Und 2022 endet der Gazprom-Vertrag, der den Blauen bisher dreistellige Millionensummen für die Trikotbeschriftung garantiert.

Der FC Schalke 04 steht vor einer Horrorsaison, an deren Ende als Maximalerfolg nur die Vermeidung des Abstiegs stehen kann.

Der nächtliche Schein der vielen Fackeln, mit denen die Kokereien einst das überschüssige Koksofengas entsorgten und Gelsenkirchen den legendären Beinamen „Stadt der 1000 Feuer“ gaben, ist längst erloschen, und steht stellvertretend für den Niedergang des Ruhrpotts, der verzweifelt

mit dem Strukturwandel kämpft. Auch „Auf Schalke“ werden ebenfalls die Lichter ausgehen, wenn nicht die Schutzheilige der Kumpel, die „Heilige Barbara“, oder der Fußballgott ein Wunder geschehen lassen. Oder der DFB, wenn er den 1965 getroffenen Beschluss der Aufstockung der Fußball-Bundesliga wegen der abgestiegenen Schalker wiederholt.

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