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DER WEG DES JOGI LÖW IST GEGANGEN

DER WEG DES JOGI LÖW IST GEGANGEN


Seine ruhige, besonnene, manchmal träumerisch wirkende Art kontrastiert die lärmende, aufgeregte, bisweilen bis zur Hysterie aufgeladene Fußballwelt. Er schweigt, wo andere brüllen. Er hält sich zurück, wo andere ausgelassen feiern. In allen Turnieren, in die er die deutsche Fußballnationalmannschaft geführt hat, hat er wenigstens das Semifinale erreicht. Zwei hat er sogar gewonnen: die unvergessene WM 2014 und den Confed-Cup 2016.

Bis zur WM 2018.

Hatte der Bundestrainer Joachim Löw in Turnieren Niederlagen bezogen gegen Spanien, Italien und Frankreich – immerhin Großmächte des Fußballs -, verlor er in Russland gegen Mexico und Südkorea und fuhr nach der Vorrunde nach Hause. Der Geist von „Campo Bahia“ 2014 war längst verflogen. Bei der Auswahl des ehemaligen Sanatoriums "Watutinki" als WM-Quartier 2018 mag der DFB benebelt gewesen sein, dies jedoch allen Ernstes als Ursache des schockierend-blamablen Ausscheidens zu identifizieren, liess Beobachter fragen, was für ein Zeugs die Verantwortlichen geraucht haben mögen.

Vor allem der apathisch-hilflose Auftritt gegen Südkorea wirkt bis heute nach. In Spielen, in denen es final auf das Resultat ankommt so wie gestern Abend beim 0:6 gegen Spanien, ruft die Mannschaft seitdem nicht mehr eine überdurchschnittliche Leistung ab. Von einer Bestform ganz zu schweigen.

Vercoacht hat sich Jogi Löw schon das ein oder andere Mal, mit der Ausbootung des Trios Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller hat er sich verzockt. Die Hierarchie der Mannschaft ist zerstört und besteht nur noch aus Mauel Neuer, dem letzten verbliebenen Helden von 2014. Die Zahl der „Krieger“ auf dem Feld ist gegen Null reduziert, die vermeintliche Notwendigkeit dieser Maßnahme ist brutal, damit schwer nachvollziehbar kommuniziert. Die Frage, ob die drei Genannten erst durch die Abstinenz von der Nationalmannschaft wieder zu alter Stärke und Dominanz zurückgefunden haben, ist müßig.

Und wenn: der Münchner Norbert Eder oder der Bremer Dieter Eilts seien an dieser Stelle genannt. Spieler, die als Defensivstabilisatoren für das jeweils anstehende Turnier berufen wurden ohne vorherige Spielintegration. In beiden Turnieren, WM 1986 und EM 1996, erreichten sie das Finale, die EM 1996 in England gewannen die Deutschen mit dem „Panzer aus Bremen“. Eine ähnliche Maßnahme sollte der Bundestrainer nun in Betracht ziehen und diese alten Recken zu den Turnieren reaktivieren.

Die Frage ist: der amtierende Bundestrainer oder (s)ein Nachfolger? Jogi Löw hat die Tür für Rückkehrer offen gelassen: Mario Götze hat er dabei augenscheinlich wieder im Auge, der im holländischen Eindhoven neue Freiheiten genießt unter Trainer Roger Schmidt. Aber auch Götze ist kein „Krieger“, der den Spaniern Widerstand geleistet hätte, und sei es auch nur, um nicht der Passivität gescholten zu werden.

Ein Comeback feiert das Trio der Ausgemusterten nur, wenn Jogi Löw eine von ihm vehement vertretene Entscheidung rückgängig macht. Und (s)einen Autoritäts- und Gesichtsverlust mit unabsehbaren Konsequenzen öffentlich konzediert.

Der Teammanager Oliver Bierhoff ist auf Distanz gegangen zu seinem Waffenbruder mit der Aussage, dessen Weg ginge er nur bis zur EM 2021 mit. Danach ist ohnehin Schluss mit Jogi:

bei einem Titelgewinn würde der Bundestrainer in Ehren zurücktreten, bei Misserfolg, also ohne Finalteilnahme, gäbe es keinen Grund mehr, an ihm festzuhalten. Das C-Virus hat die EM 2021 und die WM 2022 in eine unmittelbare Jahresabfolge gezwungen. Dieser enge Turnus postuliert Stabilität und verbietet Experimente, will man nicht zweimal krachend scheitern „auf dem Weg zur Weltspitze“. Dieses nach dem gestrigen Auftritt illusorisch anmutende Ziel hat der Bundestrainer im Verbund mit dem Verband ausgegeben.

Erreichbar ist dies nur mit gravierenden Änderungen.

Die jetzige Situation ist eine andere als jene im März 2006, als die Nationalmannschaft krachend und überfordert mit 1:4 gegen Italien in einem Freundschaftsspiel verlor, um drei Monate später immerhin das WM-Halbfinale gegen den gleichen Gegner zu bestreiten. Damals war Jogi Löw Assistent des seit 2004 installierten Bundestrainers Jürgen Klinsmann, an dem der DFB trotz aller öffentlichen Kritik festhielt. Seit 14 Jahren leitet Löw nun die Geschicke von „La Mannschaft“.

Seit ihm Hansi Flick, der angebetete Erfolgstrainer des FC Bayern München, als Assistent fehlt, fehlt ihm Fortune.

Joachim Löw ist einen langen Weg gegangen, den er gesichtswahrend nun von sich aus beenden sollte.


(Foto © rüdiger schrader)

Entnommen dem Buch „Brasil //14 - Wo Wir Weltmeister Wurden“

Aufgenommen vor dem Spiel GERMANY-ALGERIA

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